Die Antwort ist einfacher als es die auf den ersten Blick verstrickt anmutende Rechtslage vermuten lässt. Wer sich auf nicht getestete Reifen ohne Freigaben bzw. Unbedenklichkeitsbescheinigung einlässt, darf sich später nicht beschweren, wenn er sich um Kopf und Kragen fährt.
Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Reifenherstellers muss laut Gesetzgeber dennoch mitgeführt werden.
Selbst wenn in den Fahrzeugpapieren keine Reifenbindung besteht. Dass der Polizeibeamte vor Ort die Freigaben in der Regel gar nicht nachprüfen kann, steht auf einem anderen Blatt. Dazu wäre eine Vernetzung mit einer TÜV- oder Hersteller-Datenbank erforderlich, die zumindest im Moment noch nicht existiert. Im Fall einer Mängelkarte hat der Halter dann eine Woche Zeit, um sich eine gültige Unbedenklichkeitsbescheinigung zu besorgen (Reifenhersteller, Internet, Foren) und diese auf einer Polizeiwache vorzulegen.
Bikersjournal.de sprach dazu mit Thomas Decke, Pressesprecher Polizei Mettmann / NRW: "Grundsätzlich ist es so, dass der Halter, der mit nicht freigegebenen Reifen unterwegs ist, eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, die zum Erlischen der Betriebserlaubnis führt. Laut Bußgeldkatalog werden somit 50 Euro fällig. Gratis gibt's 3 Punkte in Flensburg dazu. Allerdings ist es für die Beamten vor Ort nicht immer einfach überhaupt festzustellen, welche Reifen denn nun tatsächlich für das betreffende Fahrzeug freigegeben sind. Hat der Fahrer nicht die in den Fahrzeugpapieren vorgesehenen Reifentyp montiert und keine dazugehörigen Freigabe vom Reifenhersteller dabei, kommt es schlimmstenfalls zu einer Mängelkarte und somit zu einer schriftlichen Aufforderung, das entsprechende Papier innerhalb einer Woche bei einer Wache vorzulegen. Ob nun eine Freigabe erforderlich ist oder nicht, ist es doch so oder so der sicherste Weg, nur ausdrücklich freigegebene Reifen zu montieren. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand."
Jürgen Frank vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): "Es gibt für den Motorradhersteller keine rechtliche Verpflichtung, eine Beschränkung in der Typgenehmigung in Form einer Fabrikatsbindung für Reifen vorzunehmen. Die Notwendigkeit, eine Beschränkung in Form einer Fabrikatsbindung vorzunehmen, ergibt sich aus den Fahreigenschaften des jeweiligen Motorradtyps. Die Verantwortung dafür, dass alle auf dem Markt befindlichen typgenehmigten Reifen in den für den Motorradtyp vorgegeben Reifengrößen zu keinen fahrdynamischen Sicherheitsproblemen führen, trägt der Hersteller selbst. Werden jedoch die notwendigen Fahreigenschaften nur mit bestimmten Fabrikaten erreicht und somit in der Typgenehmigung-Genehmigung aufgeführt, sind diese Beschränkungen für den Verbraucher bindend."
Verzichtet ein Fahrzeughersteller auf sicherheitsrelevante Reifenfreigaben, ist es naheliegend, dass in diesem Fall wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen könnten. Allein im Jahr 2007 präsentierte der japanische Motorradhersteller Suzuki mindestens sechs neue Motorräder. Das komplette Programm zwischen 400 und 1.800 ccm umfasst zu diesem Zeitpunkt 22 straßenzugelassene Modelle (Quelle: 'MOTORRAD Katalog 2007'). Klar hingegen die Frage, wer bei einem Unfall durch Reifenschaden haftet, wenn der Fahrzeughersteller keinerlei Bindung mehr vorgibt oder nur eine, die vielleicht nicht mehr produziert wird. Dann nämlich geht der 'Schwarze Peter' an den Halter des Fahrzeugs. Es sei denn, der Reifenhersteller hat von sich aus das jeweilige Fahrzeug mit dem betreffenden Reifen ausgiebig getestet und folglich eine offizielle Freigabe erstellt. In diesem Fall würden die Kosten zu Prüfung und Erstellung des Gutachtens bei den Reifenherstellern hängen bleiben.
Der Reifenhersteller Metzeler verdeutlicht einen klaren Standpunkt und empfiehlt nach wie vor, ausschließlich Reifen zu montieren, für die eine Freigabe von Reifenhersteller oder Motorradhersteller für den entsprechenden Motorradtyp vorliegt. Nur bei freigegebenen Reifen hat ein Motorradfahrer die Gewissheit, dass er das Potenzial seines Bikes mit Spaß und Sicherheit nutzen kann, da diese Reifen-Motorrad-Kombinationen zuvor umfangreich von unserer Fahrversuchs-Abteilung getestet wurden und auch zukünftig getestet werden.
"Trotz der ständigen Weiterentwicklung der Motorradtechnik gilt nach wie vor, dass die Kombination aus Motorradfahrwerk und Reifen 'passen' muss, denn jedes Motorrad kann mit verschiedenen Reifentypen ein unterschiedliches Fahrverhalten zeigen. Um festzustellen, ob ein bestimmter Reifentyp mit einem speziellen Motorradmodell in allen Fahrsituationen und Geschwindigkeitsbereichen harmoniert, sind umfangreiche Tests durch professionelle Fahrer unabdingbar. Erst nach guten Ergebnissen bei den gefahrenen Tests wird von Metzeler eine Freigabe für die jeweilige Reifen-Motorrad-Kombination erstellt. Eine Freigabe stellt daher immer auch eine Empfehlung von Metzeler für die Motorradfahrer dar. Jeder Motorradfahrer ist für den verkehrssicheren Zustand seines Motorrads verantwortlich. Von der Bereifung darf keine Gefahr für den Fahrer und seine Umgebung ausgehen. Um diese Ansprüche zu erfüllen, reicht es nicht aus, lediglich auf den richtigen Luftdruck und die ausreichende Profiltiefe zu achten.
Ein Reifen, der lediglich aufgrund seiner Dimension auf ein Motorrad passt, bietet nicht automatisch auch ein sicheres Fahrverhalten und Fahrspaß. Da Metzeler größten Wert auf die Sicherheit und Zufriedenheit seiner Kunden legt, empfehlen wir weiterhin allen Motorradfahrern, nur Reifen zu montieren, für die eine Freigabe von Metzeler oder vom Motorradhersteller für den jeweiligen Motorradtyp vorliegt. Metzeler wird auch in Zukunft sein umfangreiches Testprogramm weiterführen und im Falle positiver Testergebnisse, Freigaben für die Metzeler-Bereifungen auf den Motorrädern aller Hersteller veröffentlichen."
Matthias Siegmund, Produktmanagement Motorrad Technik der Dunlop GmbH & Co. KG fasst es kürzer zusammen: "Die Reifenbindung ist ein sinnvolles Instrument, um den Verbraucher vor unangenehmen Überraschungen zu schützen. Bei der bisherigen Verfahrensweise konnte der Motorradfahrer davon ausgehen, dass alle freigegebenen Reifenpaarungen vom Reifenhersteller oder vom Fahrzeughersteller auf dem betreffenden Motorrad intensiv geprüft worden sind. Diese Prüfungen stellen zwar bei der Vielzahl der angebotenen Motorrädern und Reifen einen enormen Aufwand dar, sind aber aus unserer Sicht technisch notwendig."
Auch Thomas Ochsenreiter, Leiter der Michelin-Rennsportabteilung, empfiehlt deutlich, sich ausschließlich an die freigegebenen Reifen zu halten: "Die Probleme hinsichtlich der Unklarheit für Motorradfahrer sind uns bekannt und wir haben Verständnis dafür. Von einer generellen Aufhebung der Markenbindung allerdings kann nicht die Rede sein. Um die Situation für alle transparenter zu machen, führen wir seit längerem konkrete Gespräche mit der Motorradindustrie. Im Einzelfall können wir jedem Biker nur empfehlen, sich an die in den Fahrzeugpapieren eingetragenen Reifen zu halten bzw. sich für solche Reifen zu entscheiden, für die entsprechende Gutachten vorliegen."
Fazit
Keine Reifenbindung vom Fahrzeughersteller heißt nicht, dass man nach gut dünken Reifen montieren kann, sprich: es ist nach wie vor ein Gutachten erforderlich. Keine Vorgaben vom Fahrzeughersteller heißt auch keine Haftung durch den Hersteller. Schließlich hat dieser den Reifen ja nicht empfohlen. Und wenn der eventuell in der Betriebsanleitung empfohlene Reifen in der schnelllebigen Zeit von Heute vielleicht schon bald nicht mehr angeboten wird? In diesem Fall ist der Fahrzeughersteller haftungsmäßig ebenfalls fein raus - und hat sich obendrein die Kosten für Freigaben gespart. So gesehen handelt es sich also um rein betriebswirtschaftliche Aspekte und kein Mehr an Freiheiten für den Biker. Eher um ein Mehr an Eigenhaftung.
Quelle Bikersjunal (uh)